2095: Gegen jeden Widerstand (Thriller)

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Algerien, 2095. Jacques Freundin Kara wird von Soldaten verschleppt. Der 19-Jährige hat keine Wahl. Will er sie retten, muss er über den „Wall“. Das nahezu unüberwindbare Bollwerk in der Mitte des Meeres schirmt den „grünen Kontinent“ seit Jahrzehnten ab.
In der Hightech-Nation Europa plant Hacker Diego, sich am führenden Sicherheitskonzern PeaSecur zu rächen. Dessen egomanischer CEO Karl Wagner hat sein Leben zerstört. Es fehlt ihm nur ein winziger Puzzlestein: Ein Köder, um seinen Plan in die Tat umzusetzen.
In der Geschichte taucht der Leser tief in eine zukünftige Welt der Extreme ein. Dürren, bittere Armut und Willkür der Herrschenden im globalen Süden. Hyperkapitalismus, verblüffendes Hightech und korrupte Politiker im Norden. Dazwischen eine Liebe, die sich gegen jeden Widerstand durchsetzt.

Leseprobe

Prolog

Im Mittelmeer vor Sizilien. 13. April 2095.
„Lorenzo pass auf!“, rief Matías durch die stürmische See. Sie duckten sich beide, während der nächste Brecher über dem Schlauchboot zusammenschlug. Er spuckte salziges Wasser aus.
Das Boot sprang über die Wellenkämme. Immer wieder erhellten Blitze den Horizont. Donner rollte über das Meer hinweg. Der kräftige Außenborder brummte und trieb sie zuverlässig in Richtung Süden vorwärts. Die Batterien hielten mindestens weitere sechs Stunden. Hätte Lorenzo es sich aussuchen können, wäre sein kleiner Bruder heute nicht die rund 90 Kilometer vom spanischen Almería über das Mittelmeer mitgefahren.
Aber der Funkspruch von Jawaria, ihrer algerischen Auftraggeberin, war eindeutig: 13-APR-2095 13:00:00 UTC+2 / 36°22’57.1″N 1°33’28.1″W.
Die Koordinaten waren nichts Neues. Sie und lagen etwa in der Mitte zwischen Oran, Algeriens zweitgrößter Stadt, im Norden des Landes und der Spitze einer spanischen Südküste bei Cabo del Gata. Für diese Tour erhielten sie eine anständige Bezahlung. Wenig Arbeit, gutes Geld, aber nicht ohne Risiko.

Vor ihnen zeigten zwischen den Wellenkämmen die ersten langen Stacheln. Die kritische Phase begann. Sie durften sich höchstens dreißig Minuten in diesem Abschnitt aufhalten. Ansonsten bestand die Gefahr, dass die regelmäßig patrouillierenden Flugdrohnen sie bemerkten. Aus dem gleichen Grund hatten sie keine Geräte dabei, die mit der europäischen Cloud verbunden waren.
Den beiden kam der Umstand entgegen, dass sich die Grenzbefestigung in der Mitte des Mittelmeeres über 4.000 Kilometern erstreckte. Eine nahtlose Überwachung wäre mit der heutigen Technik möglich, aber teuer. Die Kosten, Überflüge mit Drohnen jahrzehntelang aufrecht zu erhalten, waren den Bürgern vor rund 30 Jahren nicht zu vermitteln. Daher hatte man sich für die günstigere physische Barriere mit den langen stählernen Stacheln entschieden. Heute flogen jede halbe Stunde Fluggeräte zur Kontrolle hinüber oder krabbelten zu Wartungszwecken zwischen den Spikes hindurch.

„Langsamer Lorenzo!“, rief Matías besorgt. „Wir wollen uns nicht selbst aufspießen!“
„Ja, ja, wir machen die Tour ja nicht zum ersten Mal, oder?“, kam die pampige Antwort seines älteren Bruders. Sie rasten in unveränderter Geschwindigkeit weiter auf den Wall mit seinen Spitzen zu.
Inzwischen sah Matías auf dem Wellenkamm einen ganzen Wald aus unterschiedlich langen Stacheln, der sich bedrohlich vor dem Horizont abzeichnete. Wie eine Kette aus fetten schwarzen Seeigeln zogen sich die drei bis vier Meter messenden Kugeln dicht gedrängt über die Grenze zwischen Wasser und Himmel. Immer wieder erhellten Blitze die Szenerie.
Für Lorenzo war es unvorstellbar, wie man an das menschenverachtende Bollwerk aus Stahl bei diesem Seegang nahe genug herankam, ohne das Boot aufzuschlitzen. Nicht nur das. Die Flüchtlinge kletterten durch die Spitzen hindurch und über die glatten Stahlkugeln hinweg. Idealerweise ohne sich aufzuspießen oder Gliedmaßen an den scharfen Kanten zu verlieren. Das war zum Glück nicht sein Problem.

„Matías, schau da vorne, nahe den ersten Spikes!“, hörte er Lorenzos Stimme über den Wind.
Er sah sie. Fünf orangene Punkte in 300 Metern Entfernung, die immer wieder zwischen den Wellen hervorlugten. Das war ihr Ziel. Dieses Mal waren die Koordinaten ungenau.
„Mierda!“, fluchte Matías, das würde knapp. Sein Bruder fuhr weiterhin mit Vollgas in die neue Richtung.
„Langsamer Lorenzo! Willst du uns umbringen? Idiota!“
Längere Stacheln tauchten immer wieder zwischen den Wellen auf. Sie waren höchsten fünfzig Meter entfernt. Nicht weit bei diesem Sturm und Seegang.
Die orangenen Schwimmwesten kamen endgültig in Sichtweite. Noch dreißig Meter. Es waren scheinbar drei Frauen, ein Mann und ein Kind. Wenn sie die armen Menschen nicht gleich herausfischten, drängte der Wind sie zurück in den Wall und sie verreckten elendig. Matías überlief eine Gänsehaut bei der Vorstellung, dort wie ein Schmetterling aufgespießt auf seinen Tod zu warten. Es sähe diese Tragödie nicht zum ersten Mal. Daher wollte er das gerne vermeiden.
Endlich wurde Lorenzo langsamer.

Kurz darauf kamen sie bei den armen Menschen an. Sie riefen Worte auf Arabisch, das er nicht beherrschte.
„Lorenzo, vorsichtig!“, ermahnte er seinen Bruder erneut.
Die Frau, die ihm am nächsten war, holte er sich mit dem Enterhaken heran und hievte sie an Bord. Sie schrie und gestikulierte mit den Armen. Dann sah er, was sie meinte: Das Mädchen trieb auf eine nahe Spitze zu. Er wollte seinem Bruder Bescheid geben, da sprang die Frau zurück ins Wasser und der der zurückschwingende Rumpf warf ihn auf den harten Plastikboden in der Bootsmitte.
Verdammt! War die verrückt? Er rappelte sich wieder auf und schaute sich um. Sie hatte das Mädchen in Richtung der flachen Reling geschubst. Dafür trieb die Arme an ihrer Stelle unaufhaltsam auf den nächsten Dorn zu. Matías zog sich das schreiende Kind heran und hob es geschickt an Bord.
„Hadi, hadi, ruhig, ruhig“, sagte er, um sie zu beruhigen. Neben „jalla“, schneller, das einzige arabische Wort, das er kannte. Die Kleine zitterte und schaute ihn mit weiten Augen an. Sie hatte es geschafft.
Die Frau, die sich für das Mädchen in das Wasser gestürzt hatte, bekam er nicht gegriffen. Der Seegang schob sie davon und ihre Zeit lief ab. Er versuchte erneut, sie heranzuholen. Endlich hakte er sich unter ihre Schwimmweste, dann merkte er, dass die Wellen sie nicht mehr auf und ab schaukelten. Eine schwarze, vierkantige Spitze ragte aus ihrer Brust.
„Mierda“, fluchte er erneut.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, holte er erst die anderen beiden Frauen an Bord und im Anschluss den Mann. Alle waren jung – wie immer.
„Lorenzo! Gib Gas, wir müssen hier weg!“, brüllte er über die Wellen. Er merkte wie sich das Boot kurz rückwärts bewegte und in einem engen Bogen mit Vollgas von dem Wall entfernte.
Zumindest die vier hatten es geschafft. Was auch immer das wert sein mochte. In seiner Heimat Spanien wartete auf die meisten von ihnen nichts Gutes. Sie würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von den Behörden aufgegriffen. Die Verhöre und Gehirnwäsche in den Erstaufnahmeeinrichtungen überstände nur ein kleiner Buchteil. Der große Rest landet in wenigen Wochen wieder Algerien. Alternativ müssten sie im Untergrund ein karges Dasein fristen. So etwas wie Asyl gab es im neuformierten Europa nicht mehr.
Jawaria war die Einzige, die an diesem Arrangement verdiente – und natürlich sie beide.

Das Mädchen zupfte an seiner Jacke. Er schaute sie an. Mit leiser Stimme fragte sie ihn: „’ayn ‘umi? … mumya’?“
Er verstand sie nicht, konnte sich aber vorstellen, wen sie suchte. Das Wort „Mama“ klang in den meisten Sprachen ähnlich.

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